A N Z E I G E

Eure liebsten Kurzgeschichten...

  • Hallo.


    Das Thema des Threads sollte eigentlich klar sein. Gesucht sind hier die Kurzgeschichten, die Euch am besten gefallen. Seien es lustige, traurige, politische - auch Parabeln sind erlaubt.


    Angegeben werden sollte immer der Name, der Autor und eine kurze Beschreibung. Ebenfalls eine Begründung, warum Euch gerade diese Geschichte gut gefällt.


    Wenn rechtlich möglich, dann kann auch gerne die komplette Kurzgeschichte gepostet werden.


    Das Thema fällt mir ein, weil ich gerade die Sammlung von Volkserzählungen Leo Tolstois lese (unter dem Titel "Wieviel Erde braucht der Mensch?", was auch Name einer der darin enthaltenen Geschichten ist). Dabei handelt es sich aber mehr um theologisch-politische Parabeln als um Kurzgeschichten. Tolstoi zeigt sich als radikaler Christ und überzeugter Gegner von materiellem Besitztum und Gewalt. Dabei wird deutlich, dass seine Vorstellungen vom Christentum sehr viel weitgehender und konsequenter sind als als die der Kirche selbst. Dank der angesprochen antimateriellen Haltung wurde Tolstoi auch sehr gerne in der DDR verlegt und mit entsprechenden Vorworten und Nachworten (so auch in der mir vorliegenden Ausgabe) ideologisch noch etwas mehr in diese Richtung gerückt, was ihm vermutlich nur bedingt gefallen hätte, da er, neben der sicherlich vorliegenden Kritik am Kapitalismus auch beidungslos Gewaltfreiheit forderte. Auch der "straight edge"-Lebensstil wird von Tolstoi propagiert, auch wenn ich bisher noch keine Geschichte in dieser Sammlung entdeckt habe, die Enthaltsamkeit fordern würde (die Tolstoi allerdings, da ist man sich gemeinhin einig, auch für den einzig richtigen Weg beim Umgang mit Sexualität gehalten hat).


    Ob man den ganzen Aussagen nun zustimmen muss oder nicht: Es ist schön, etwas zu lesen, das ideologisch klar, durchdacht und konsequent ist. Eine vom Glauben geprägte Schrift, die so mutig, so hart und konsequent ist, wie Jesus Worte selbst, liest man sonst zu selten. Nicht verwässert, sondern voller, durchaus auch wehtuender, Präzision. Oder anders gesagt: Man ist bei der Lektüre des Buches fast geneingt, zu sagen: Tolstoi ist der bessere Papst.

    Einmal editiert, zuletzt von Stingray ()

  • A N Z E I G E
  • Damit in den Thread mal noch ein wenig Leben kommt ;)


    Das ist eigentlich keine Kurzgeschichte im eigentlichen Sinne, aber ich poste es hier dennoch einmal. Das Buch Simple Storys von Ingo Schulze. Das Buch setzt sich aus einer Reihe von Kurzgeschichten zusammen, die oftmals einfache Alltagssituationen thematisieren und meistens nur durch eine personelle Kontinuität (beispielsweise Bekanntschaften zwischen den verschiedenen Figuren oder eben die Wiederkehr derselben Figur) verbunden sind. Oftmals bleiben die Kurzgeschichten offen, der Leser bekommt also nur einen kurzen Einblick in die Geschichte der Figuren. Sowohl Herkunft, als auch Fortgang der Lebensgeschichte der Figuren bleiben im Dunkeln. Außerdem bleiben die Aussagen der Erzählungen meist offen. Der Leser kann und muss sie sich selbst erschließen (wie auch die Verbindung zwischen den einzelnen Erzählungen).


    Einige dieser Geschichten sind, wie ich finde, außerordentlich gut. Gleichzeitig ist "Simple Storys" auch ein anderer Ansatz, einen Roman zu schreiben. Gerade die Tatsache, dass ich jede Story als Kurzgeschichte lesen kann, sie gleichzeitig aber auch in den Rahmen eines Romans eingepasst wurden, finde ich sehr spannend. Der Leser muss aber auch immer die Offenheit der einzelnen Erzählung, sowie des Romans aushalten. Auch das finde ich sehr toll.

  • Zitat

    Original geschrieben von Sebastian1984:
    Damit in den Thread mal noch ein wenig Leben kommt ;)


    Meine Güte der Thread war tot, bevor er überhaupt existierte und er war von Anfang an nur darauf angelegt, dass der Kollege am Ende sagen kann: "Null Antworten, ich wusste doch, dass die Summe der IQs aller anderen User nicht mal die Quersumme des meinigen erreicht." Und selbst ich antworte entweder nur um selbst ähnliches denken zu können oder noch viel wahrscheinlicher nur um dem Kollegen eben jenes Triumphes zu berauben, jedoch sicher nicht aufgrund meines Interesses für Kurzgeschichten. ;)


    Im Literaturbereich hab ich eigentlich allgemein einen ziemlichen Hang zu Klassikern und entsprechend sind meine Lieblingskurzgeschichten auch die bekannten Klassiker - in dem Fall vor allem die klassischen anglo-amerikanischen Short Stories.


    An Nummer eins für mich natürlich Edgar Allan Poe. Poe hat einfach eine fantastische Poesie in der Sprache und einen unglaublichen Fluß. Ich kenne weder in Deutsch noch in Englisch einen zweiten Autor, der so mit Sprache umgehen konnte wie Poe (allenfalls Rilke). Da ist jeder Satz wie ein Gemälde. Naja, sollte langsam klar geworden sein, dass ich ihn in jeder Hinsicht bewundere. ;) Und entsprechend mag ich natürlich auch seine Kurzgeschichten. An Nummer 1 "The Tell-Tale Heart". Wenn man das liest, weiß man, was ich meine mit Fluß der Sprache. Das entwickelt allein sprachlich beim Lesen ein atemberaubendes Tempo, so dass die Spannung immer weiter wächst. In dem Fall umso erstaunlicher, weil er zusätzlich dazu mit vielen Wiederholungen, Einschüben und Satzunterbrechungen arbeitet, die das ganze abhacken und so die Hektik der eigentlich ruhigen Situation einfangen. Dann die zwei starken Motive, das Auge und der Herzschlag, an denen sich alles manifestiert. Wie gesagt, meine absolute Nummer 1.


    Dann "The Fall of the House of Usher". Da greift einfach alles ineinander, die Verknüpfung passt und alles Deskriptive ergibt auch Sinn. Eine Story die sich viele Autoren mal mehrfach als Anschauungsunterricht hätten durchlesen sollen, dann wäre uns viel aufgeblähter Müll erspart geblieben (besonderen Gruß an Herrn Hemingway in diesem Zuge ;)). "The Masque of the Red Death" will ich auf jeden Fall noch nennen. Allein das Setting mit seiner Farbsymbolik ist brillant. Die Personifizierung am Ende überzeugt mich zwar nicht 100%, aber das Einfangen der Angst und Pest-Hysterie und die Verbindung mit dem Maskenball-Motiv ist einfach so gut, dass es das für mich auch nicht mehr abwertet. "Ligeia" - ich kann die Kritik daran verstehen, und ja sie könnte noch besser sein, aber der Ich-Erzähler, hinter dessen Opiumrausch die Realität nicht erkennbar wird, gefällt mir wahnsinnig gut. Außerdem: "The Pit and the Pendulum", "The Oblong Box", "The Premature Burial".


    Weg von Poe will ich auf jeden Fall "An Occurrence at Owl Creek Bridge" von Amrose Bierce nennen. Natürlich einer der ganz einflussreichen Klassiker. Surrealistisch, überraschend und das beste m.E. wie ab der Berührung mit dem Wasser unterschwellig eine Ruhe mitschwingt, die eigentlich nicht da ist.


    Liam O'Flahertys "The Sniper": Schöne Kriegsparabel. Die Vermittlung der professionellen Sicht und der Alltäglichkeit auf das Geschehen.Das abrupte Ende als Gegensatz und kompletten Bruch ganz großartig inszeniert - insbesondere das Moment des Beschusses, das das Ende nochmal unterbricht und den Leser sofort wieder zurückversetzt in die gedankenlose, spannende Alltagssicht, um ihm dann mit einem Satz rauszureissen und alleinzulassen. Großartig umgesetzt, gerade am Ende, als man kurz den Eindruck gewinnt, jetzt macht der Autor aber einen Fehler und dann umschifft er ihn doch mit richtiger Klasse.


    Truman Capotes "A Diamond Guitar": Auch einfach richtig gut geschrieben. Die Tico-Figur ist klasse, ohne das sie eine Besonderheit aufweist. Aber die Art und Weise wie der Hauptcharakter mit ihr verwoben wird und dazu der Erzähler dessen Nähe zu den Figuren immer optimal zu- und abnimmt und die Distanz die selbst dann noch rüberkommt, wenn er von innersten Gefühlen berichtet fängt die Gefühlslage eines vorbeiziehenden und vergeudeten Lebens perfekt ein.


    Denke damit ist das wichtigste genannt. :) Vielleicht noch um was ganz anderes ins Spiel zu bringen. Max Goldts "09.11.2001". Auch wenn es offiziell darunter firmiert, tue ich mich etwas schwer das ganze als Kurzgeschichte einzuordnen, es sei also etwas außer Konkurrenz genannt. Es ist halt einfach Max Goldt am Zenit. Brillante Beobachtungen, schreiend komische Analysen, intelligente Wortglauberei und Hinterfragen von Selbstverständlichen. "Angela Merkel sagte das, was Angela Merkel halt zu sagen pflegt, wenn Terroristen in Hochhäuser hineinfliegen." Wüsste nicht jemals bei einer Textlektüre ein zweites Mal so gelacht zu haben wie bei dieser. Und wenn dann sicherlich bei einem anderen Text von Goldt.



    Naja, in die Stingray-Tolstoi-Elite konnte ich nicht ganz vordringen, aber was soll's: Ich war hier. ^^

    Einmal editiert, zuletzt von ()

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