ZitatOriginal geschrieben von Ernesto1986:
Ich verstehe deine Position.
Aber können wir uns vielleicht darauf einigen, dass die Deppen, welche das Gebäude gestürmt haben und dort drin nicht mehr mit sich anzufangen wussten, als Selfies zu machen, nicht so eine große politische Agenda verfolgt haben, als dass man sie des Putsches beschuldigen sollte?
Jein. Eine politische Agenda muss nicht immer ausformuliert sein, um seine Wirkung zu entfalten. Letztendlich ist das Weltbild von vielen von den Leuten da gestern wohl gar nicht kohärent genug, um daraus eine gemeinsame Agenda formen zu können. Das macht den Akt als solchen aber nicht weniger politisch oder gefährlich. Aus meiner Sicht hängen wir da noch sehr in der politischen Nomenklatur des 19. Jahrhunderts mit ausdefinierten politischen Gruppen, die über Manifeste verfügten, klare Pläne für eine etwaige Regierungsübernahme hatten und so weiter. Das hat sich mittlerweile aber alles deutlich mehr verfranzt, weswegen es oftmals schwerer fällt, diese Vorgänge zu fassen. Das sieht man auch an den deutschen Sicherheitsbehörden, die es nicht schaffen, die neu-rechte Szene definitorisch und danach auch praktisch in den Griff zu bekommen, weil sie stark an den Konzepten "politische Vereinigung" und so weiter hängen. Dies ist aber nicht mehr ganz zeitgemäß, da sich die Vergemeinschaftungsformen geändert haben, wodurch auch ein sowas abstruses wie gestern, politisch handeln kann, auch wenn sich ihre Agenda dann nur in der Ablehnung bestimmter Prozesse oder Werte zeigt und sie nur indirekt netzwerkhaft miteinander und z.B. nicht mehr klandestin in kleinen Ortsgruppen verbunden sind. Und hier liegt für mich der gemeinsame Nenner in der Bekämpfung der demokratischen Ordnung (über deren Fehler man natürlich diskutieren kann), die für mich die Putschinterpretation haltbar machen.